Standpunkte

Atomkraft ist gefährlich

Greenpeace-Recherchen zu den ältesten Atomkraftwerken belegen das enorme Ausmaß der Katastrophe bei einem schweren Reaktorunfall. Bei vielen Anwohnern der AKW Biblis A und B, Brunsbüttel, Isar 1 und Philippsburg 1 würde die radioaktive Kontamination bereits innerhalb weniger Stunden den behördlichen Grenzwert für eine Evakuierung bis um das Tausendfache überschreiten. Die Behörden ignorieren diese Bedrohung, die durch einen Flugzeugabsturz oder einen Terroranschlag aus der Luft ausgelöst werden könnte.

Die Gefährdung der Bevölkerung rund um die sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke wird von der Atomaufsicht seit Jahren dramatisch unterschätzt. "Die Bevölkerung ist einem tödlichen Risiko ausgesetzt, dem sie nicht entkommen kann", sagt Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace.

Dewegen will Greenpeace nun vor Gericht ziehen. Die Ausbreitungsrechnungen belegen, dass Menschen, die 2 bis 25 Kilometer von den jeweiligen AKW entfernt leben, einem tödlichen Risiko ausgesetzt sind. Im Umkreis von 25 Kilometern um die Anlage des AKW Biblis liegt die zu erwartende Strahlendosis bei 14.424 Millisievert in sieben Tagen. Ab einer Dosis von 7.000 Millisievert liegt die Sterblichkeitsrate bei nahezu 100 Prozent. Ein Großteil der Radioaktivität wird in den ersten Stunden nach dem Unfall durch die Luft aufgenommen.

Die Klagen sind möglich nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom April 2008, in dem das Gericht die persönliche Betroffenheit eines Klägers als Klagevoraussetzung anerkannt hat. "Den sieben ältesten Atommeilern Biblis A und B, Brunsbüttel, Isar 1 und Philippsburg 1 muss die Betriebsgenehmigung sofort entzogen werden", fordert Smital.

"Die Aufsichtsbehörden kennen die Gefahr, aber sie handeln nicht", kritisiert Smital weiter. Interne Dokumente belegten, dass die deutschen Sicherheitsbehörden das Risiko eines Terroranschlags aus der Luft auf ein Atomkraftwerk nicht mehr ausschließen. Die für diesen Fall vorgesehene Abwehrtaktik, das AKW schlicht zu vernebeln, habe sich als unzureichend erwiesen: "Das Bundesumweltministerium sah darin jedenfalls 2007 keine wesentliche Verbesserung der Sicherheit der Kernkraftwerke."

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) räumte gestern ein, Atomkraftwerke könnten grundsätzlich zu einem Angriffsobjekt von Terroristen werden, die Gefahr sei jedoch gering. "Die Zerstörung dieser Meiler aus der Luft würde zur schlimmsten Katastrophe führen", so Heinz Smital. "Innenminister Schäuble und Bundeskanzlerin Merkel müssen jetzt sagen, wessen Interessen sie vertreten. Für den gewaltigen Profit der Atomkonzerne wird die Gefährdung der Menschen bewusst oder fahrlässig verheimlicht und verharmlost."

Ein Abschalten der sieben ältesten AKW ist nach Greenpeace-Berechnungen sofort möglich, ohne dass die Stromversorgung beeinträchtigt wird.

Am Atomausstieg festhalten!

Zwölf dreiste Atomlügen

Energiekonzerne und Union planen den Wiedereinstieg in die Atomkraft. Dazu stellen sie Atomenergie als billig, sicher und umweltfreundlich dar. Doch die Fakten sehen anders aus.

Behauptet wird, Atomstrom sei billiger als andere Energiequellen. Richtig ist, dass Strom aus modernen AKW pro Kilowattstunde doppelt so teuer ist wie bei einem Kohle- oder Gaskraftwerk. Die Kosten der Atommeiler werden durch jahrelange Abschreibungen und Steuersubventionen verschleiert. Auch werden die Kosten für Transport und Lagerung der Atomabfälle sowie für ausreichende Versicherungen von den Konzernen nicht vollständig mitberechnet.

Behauptet wird, die Verlängerung der Laufzeiten mache den Strom billiger. Richtig ist, längere Laufzeiten brächten den Kunden bestenfalls ein paar Cent. Das Öko-Institut errechnet eine Entlastung von monatlich 12 Cent bei den Stromkosten für einen Durchschnittshaushalt. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen kommt auf eine Entlastung von monatlich 50 Cent; weniger, als der Austausch einer 60-Watt-Glühlampe durch eine Energiesparlampe spart. Selbst diese Mini-Entlastung würde wohl nicht kommen, da die vier großen Energieunternehmen den Strommarkt zu 80 Prozent beherrschen und durch ihr Ouasi-Monopol die Preise diktieren.

Behauptet wird, Atomkraft sei CO2-neutral. Richtig ist, dass Atomkraftwerke keineswegs CO2-neutral sind. Atomkraft verursacht zwar weniger CO2 als Kohlekraftwerke, aber mehr als Gaskraftwerke oder Sonnen- und Windanlagen. Während die Emissionen von AKW je nach Herkunft des Urans bei bis zu 126 Gramm CO2 pro Kilowattstunde liegen können, betragen sie bei modernen Gaskraftwerken 119 Gramm, bei Windkraft nur 23 Gramm.

Behauptet wird, Atomkraft sei umweltfreundlich. Richtig ist, allein der Uranabbau als Voraussetzung zur AKW-Betreibung ' schafft schwerste Umwelt- und Gesundheitsprobleme. Beim Uranabbau kommt es zur Grundwasserbelastung und zur Staubkontamination weiter Gebiete durch Uran und Schwermetalle. So starben als Folge des bis 1990 in der DDR betriebenen Uranabbaus bis heute über 3000 Uran-Bergarbeiter an Lungenkrebs. Die Sanierung des Abbaugebiets kostet über sechs Milliarden Euro.

Behauptet wird, Atomkraft sei ein heimischer Energieträger. Richtig ist, Uran muss importiert werden. Nur 10 Staaten fördern 94 Prozent der weltweiten Urangewinnung. Vor allem Kasachstan, Kanada, Australien, Russland, Niger, Namibia und Usbekistan. So kommt zur Importabhängigkeit von Öl die von Uran hinzu.

Behauptet wird, Atomkraft mache uns unabhängiger von Ölexporten. Richtig ist, Atomstrom kann die Ölabhängigkeit nicht verringern, denn er ist für Autos und Flugzeuge nicht nutzbar. Sie benötigen Benzin bzw. Kerosin, also Ölprodukte als Treibstoff. Sie können nicht mit Strom, also auch nicht mit Atomstrom, betrieben werden. Auch werden unsere Wohnungen nicht mit Uran geheizt, sondern mit Gas und Öl.

Behauptet wird, Atomkraft sei eine zukunftssichere Energieform. Richtig ist, dass die weltweiten Uranvorräte begrenzt sind, genauso wie Öl oder Gas. Uran, der Stoff aus dem Atombomben gemacht werden, ist zum AKW-Betrieb zwingend nötig. Experten schätzen, dass
die Vorräte bis zirca 2050 reichen werden, also kaum länger als Erdöl. Seit 2000 hat sich der Uranpreis bereits verzwanzigfacht. Von einer zukunftssicheren Energie kann also keine Rede sein.

Behauptet wird, der Ausstieg aus der Atomkraft reiße eine Stromlücke auf. Richtig ist, dass der Anteil der Atomkraft an der Stromversorgung schrittweise durch Emeuerbare Energien, Energieeinsparung und für eine Übergangszeit durch schadstoffarme Kohlekraftwerke ausgeglichen werden kann. Es entsteht also keine Stromlücke. Denn die 17 deutschen AKW werden nicht auf einen Schlag abgeschaltet, sondern Meiler für Meiler. Erst im Jahr 2021 geht voraussichtlich das letzte Kernkraftwerk vom Netz. Damit gibt es genügend Zeit, um Stromlücken zu verhindern.

Behauptet wird, das Atommüllproblem sei gelöst. Richtig ist, auf der ganzen Welt gibt es kein Endlager für hochradioaktiven Müll. Das Atommüllproblem bleibt also ungelöst. Trotz weltweit mehr als 300 000 Tonnen Atommülls, der Jahr für Jahr um über 10 000 weitere Tonnen wächst. In Deutschland illustrieren die Skandale um die Endlager das ungelöste Atommüllproblem.

Behauptet wird, Atomkraft sei sicher. Richtig ist, auch 22 Jahre nach dem Super- GAU in Tschernobyl kann die Atomindustrie eine Wiederholung dieser Katastrophe nicht ausschließen. Im Gegenteil: Es gibt neue Gefahren. So sind die meisten AKW nicht gegen Terrorangriffe aus der Luft gesichert. Auch gibt es keine Sicherung, dass ein Teil der 300 000 Tonnen radioaktiver Abfälle nicht für terroristische Anschläge oder gar für den Bau einer "schmutzigen Bombe" entwendet wird.

Behauptet wird, modernere Atomkraftwerke seien sicherer als ihre Vorgänger. Richtig ist, dass es weltweit jeden Tag zu Fehlfunktionen und Unfällen kommt, auch in AKW neueren Typs. AKW aus den 80er Jahren mögen weniger störanfällig sein als solche aus den 1960ern. Dennoch wurden erst am 23. Juli 2008 im französischen Tricastin 100 Mitarbeiter eines AKW aus den 1980er Jahren mit radioaktivem Material kontaminiert. In deutschen AKW gibt es jährlich über 100 meldepflichtige Fehlfunktionen. Von vertuschten Atomunfällen gar nicht zu reden.

Behauptet wird, Atomenergie schaffe Arbeitsplätze und der Ausstieg koste Jobs. Richtig ist, Erneuerbare Energien schufen in den letzten Jahren 130 000 Arbeitsplätze. In der gesamten
Atomwirtschaft gibt es 38 000 Jobs. Schon heute arbeiten im Bereich Emeuerbare Energien
250 000 Menschen. Bis 2020 werden hier noch einmal 500 000 neue Jobs hinzukommen.

10 Irrtümer in der Schuldiskussion

"Wir können so gut sein, wie wir wollen, die potenziellen Abnehmer übernehmen unsere Absolventen nicht, so dass die Akzeptanz in der Bevölkerung bei Null angekommen ist."
(Fritz Sperth, Schulleiter der Hauptschule Tübingen Innenstadt)

Heraus aus der Sackgasse - eine Schule für alle!

Irrtum 1: "Das baden-württembergische Schulsystem ist international erfolgreich!"

Richtig ist: Ein Land, das den Anspruch erhebt, zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen zu gehören, darf sich nicht mit Mittelmaß begnügen. Im Bundesländervergleich steht Baden Württemberg recht gut da - im internationalen Vergleich hingegen nicht. Mit einem Spitzenplatz in der zweiten Liga dürfen wir uns aber nicht zufrieden geben.

Irrtum 2: "Nach vier Grundschuljahren lässt sich künftige Leistungsfähigkeit richtig diagnostizieren. Noten sind eine geeignete Entscheidungsgrundlage für die Schulwahl."

Richtig ist: Schüler/innen mit denselben Leistungen werden unterschiedlichen Schularten zugewiesen.
Dies haben mehrere Schulleistungsstudien bestätigt. So erreichten bei der internationalen Mathematikleistungsstudie TIMSS 40% der Realschüler "gymnasiale" Leistungen. Bei PISA finden sich ähnlich hohe Überlappungsbereiche. Jedoch gilt auch für die Noten: es ist seit Jahren belegt, dass Noten relativ und deshalb nicht vergleichbar sind. Noten zur alleinigen Grundlage für eine Schulwahl zu machen, ist deshalb ungerecht.

Irrtum 3: "Das gegliederte Schulsystem ist durchlässig."

Richtig ist: Die horizontale Durchlässigkeit im dreigliedrigen Schulsystem funktioniert überwiegend nur nach unten: Von den Kindern an Gymnasien machen nur ca. 2/3 am allgemein bildenden Gymnasium Abitur. 0,8 % verließen im Jahr 2006/07 das Gymnasium und besuchten danach die Real- oder die Hauptschule und weitere 0,8 % Schüler/innen des Gymnasiums verließen die Schule ohne Abschluss bzw. mit einem Abschluss unterhalb des Abiturs. Umgekehrt ist künftig der Weg für Realschüler oder Hauptschüler aus den Klassen 5 oder 6 auf das allgemeinbildende durch die Einführung von G8 wegen des Beginns der zweiten Fremdsprache faktisch verbaut. Schüler mit Realschulabschluss, die die Oberstufe am allgemein bildenden Gymnasium besuchen, haben Seltenheitswert.

Irrtum 4: "Es ist nicht die Aufgabe des Schulsystems, soziale Benachteiligungen auszugleichen"

Richtig ist: Eine Gesellschaft, die soziale Benachteiligungen als gegeben und unveränderbar hinnimmt, stellt sich selbst ein Armutszeugnis aus. Aufgabe der Schule muss es sein, soziaI Benachteiligungen zumindest auszugleichen. Das gegliederte Schulsystem verstärkt die soziale Auslese. In keinem Schulsystem eines vergleichbaren Landes ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg so ausgeprägt, wird soziale Ungleichheit stärker reproduziert, als in Deutschland. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass so unterschiedliche Akteure wie Handwerkskammern, Gewerkschaften, die OECD, die UNO und Wirtschaftsinstitute darauf verweisen.

Irrtum 5: "Die Geschichte der Gesamtschule in Deutschland hat doch gezeigt, dass sie nicht funktioniert!"

Richtig ist: Gesamtschulen hatten in Deutschland nie eine echte Chance: Sie waren und sind Teil des gegliederten Schulsystems und konnten sich deshalb fast nirgends dessen Zwängen entziehen. Vor diesem Hintergrund ist es um so beachtlicher, dass in vielen Gesamtschulen nachweislich eine hervorragende Arbeit geleistet wird und die Anmeldezahlen in den meisten Gesamtschulen über der Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze liegen.
Es geht aber um mehr als um Strukturen. Eine Schule für alle ermöglicht längeres gemeinsames Lernen für alle Schülerinnen und Schüler und vermeidet die Sortiererei zwischen den Schulen. Nicht Auslese, sondern individuelle Förderung wird zur Maxime des pädagogischen Handelns.

Irrtum 6: "Integrierte Schulsysteme produzieren schlechtere Leistungen."

Richtig ist: Es gibt integrierte Schulsysteme, die schlechtere Leistungen und solche, die bessere Leistungen hervorbringen als gegliederte. Der Unterschied besteht darin, dass in einem integrierten Schulsystem wie der einen Schule für alle eine Reihe weiterer Reformen hinzu kommen müssen, die zentrale Felder wie den Unterricht, die Förderung und die Lehrerbildung entsprechend anders gestalten.

Irrtum 7: "Die Lernergebnisse in homogenen Gruppen sind besser!"

Richtig ist: Obwohl im gegliederten Schulsystem viel Kraft darauf verwendet wird, eine scheinbar optimale Auslese der Schüler/innen zu bewerkstelligen, ist die "Risikogruppe" der schwachen Schüler/innen überdurchschnittlich groß und sind die Leistungen der Spitzengruppe nicht besser als in integrativen Systemen. Außerdem: Allein die Anwesenheit leistungsstärkerer Schüler/innen in integrierten Systemen führt bereits zu durchgehend höheren Leistungen der Leistungsschwächeren - ohne Nachteil für die leistungsstärkeren Schüler/innen. Voraussetzung ist eine anregungsreiche Lernumgebung, die Individualisierung der Förderung und ein kompetenter Umgang mit Heterogenität.

Irrtum 8: "Es gibt nun mal verschieden begabte Schülerlinnen. Die Schularten entsprechen diesen Begabungen."

Richtig ist: Menschen - und Kinder zumal - sind sehr verschieden. Doch wie viele Schularten und Verzweigungen will das Kultusministerium noch erfinden, um der Verschiedenartigkeit gerecht zu werden? Sonderschulen, Förderschulen, Hauptschule mit Praxiszug, Werkrealschule, Realschule (mit neunjährigem Gang zum Abitur), Gymnasium (mit achtjährigem Gang zum Abitur), Hochbegabtenzüge und Eliteschulen ...

Die richtige Antwort muss doch lauten, alle Kinder länger gemeinsam lernen zu lassen und sie so individuell zu fördern, dass die Vielfalt der Talente und Begabungen aller Kinder entdeckt und optimal entwickelt werden kann.

Irrtum 9: "in einer Schule für alle leiden die Schwächsten."

Richtig ist: An Sonder- und Förderschulen wird hervorragende Arbeit geleistet, um Kinder mit Behinderungen bestmöglichst zu fördern. Richtig ist aber auch. dass die Schwächsten durch die Aussonderung in Förderschulen in ihrem Selbstwertgefühl erheblich beschädigt werden. Kaum ein Schüler besucht die Förderschule freiwillig. Wissenschaftliche Untersuchungen sprechen von der 'Schonraumfalle Sonderschule'.
Nirgendwo konnte nachgewiesen werden, dass Leistung und Können der getrennt in Förderschulen unterrichteten Schüler/innen entscheidend gesteigert werden konnten.

Irrtum 10: "Die Schule für alle ist Gleichmacherei! Mit einer Schule für alle werden erfolgreiche Schularten kaputt gemacht!"

Richtig ist: Woran machen die Verteidiger "ihrer" Schulart deren Erfolg eigentlich fest? Schaut man sich internationale Leistungsvergleiche an, stellt man fest, dass z. B. an den Gymnasien in Deutschland keineswegs mehr und bessere Leistungen an der Spitze erzielt werden als in strukturell vergleichbaren Ländern mit integrierten Schulsystemen.

Die Gründe für eine Beharrung auf den Schularten müssen andere sein. Womöglich liegt es daran. dass die vermeintliche Elite einfach lieber unter sich bleibt...

Quelle: 10 Irrtümer in der Schuldiskussion. Heraus aus der Sackgasse.

Eine Veröffentlichung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg www.gew-bw.de

Neusprech und Greenwash: Über Propaganda und Sprache

Gastbeitrag von Axel Mayer

Im Jahr 1949 erschien der berühmte Roman “1984” des englischen Autors Georg Orwell. Er beschreibt darin eine düster realistische Zukunftsvision, eine moderne Diktatur, einen Überwachungsstaat als Gedankenregime, in dem der allwissende, allsehende "Große Bruder“ die Macht hat. Eine wichtige Form der Herrschaft in dieser Gedankendiktatur ist die Beherrschung und Manipulation der Sprache.

"Krieg ist Frieden
Freiheit ist Sklaverei
Unwissenheit ist Stärke“
(Georg Orwell, 1984)

Die Manipulation von Sprache als Mittel der Machtausübung und Unterdrückung ist vermutlich so alt wie die Sprache selbst. Gerade auch in der Zeit des Faschismus wurde Neusprech politische und propagandistische Realität. Hitler hat nicht immer von Krieg gesprochen, wie uns das eine vereinfachende Geschichtsdeutung weismachen will. Er hat in den ersten Jahren der Machtausübung immer wieder von Frieden gesprochen, aber Krieg gemeint. Das Gift des Bösen war durchaus auch in Zucker getaucht. Wenn es der Geschichtsunterricht an den Schulen nicht wagt, diesen geschickt gestreuten “Zucker” zu beschreiben, dann können die Mechanismen der Propaganda nicht verstanden werden.

Vernichtungslager – Konzentrationslager
Massenmord – Endlösung

Auch heute wird Sprache zur Desinformation missbraucht. Dies gilt insbesondere für die Sprache des Militärs, gerade auch in Kriegszeiten. Das orwellsche „Krieg ist Frieden“ galt auch für die deutsche Bundesregierung im lange Zeit unerklärten Krieg in Afghanistan. Ein asymmetrischer Krieg der in der öffentlichen Darstellung aber nicht so genannt werden sollte. Erschreckend erfolgreich waren die Vorkriegs- und die Kriegslügen der Bush-Regierung. Dass Diktatoren lügen wissen wir. Unsere Aufgabe als Demokraten ist es, den Lügen in der Demokratie entgegenzutreten.

Tötung von Zivilisten – Kollateralschäden
Militärischer Auftrag mit der Option zu töten - Robustes Mandat
Angriff – Vorwärtsverteidigung

Neusprech muss nicht immer nur die Ersetzung oder Neuschaffung von Begriffen sein. Manche alten, wohlklingenden Begriffe werden einfach umgedeutet. 1969 wollte Willy Brandt gegen den politischen Muff und Filz der Nachkriegszeit „mehr Demokratie wagen“ Gemeint war damit der Wunsch und der Wille „mehr Reformen zu wagen“. Über Jahrzehnte hat eine gezielte Umdeutung dieses positiv besetzten Begriffs stattgefunden. Heute steht das Wort „Reform“ für Sozialabbau und den neoliberalen Umbau der Gesellschaft. Niemand hat sich gegen diesen Missbrauch des Begriffs gewehrt.

Entlassung, Kündigung – Freisetzung
Sozialabbau – Reformen

Wenn es um die Durchsetzung von Industrieinteressen gegen Mensch, Natur und Umwelt geht, dann setzen Atom-, Gen- und Chemielobbyisten schon lange auf Greenwash. Neusprech ist bei den großen PR-Firmen zwischenzeitlich Tagesgeschäft, gerade auch wenn nach großen Industrieunfällen (Bhopal, Seveso, Toulouse...) Krisenkommunikation als gezielte Desinformation betrieben wird.

Pestizid – Pflanzenschutzmittel
Gift – Wirkstoff
Beseitigung von Giftmüll – Entsorgung
Müllverbrennung – thermische Abfallbehandlung

Eine Blüte der Desinformation und des Greenwash erleben wir im Zusammenhang mit Klimawandel und Atomenergie. „Es gibt keine menschengemachte Klimaveränderung“ war eine der vielen Werbeaussagen der PR-Firma Burson Marsteller im Auftrag der Öl- und Kohlekonzerne in den USA. „Wegen der drohenden Klimaveränderung brauchen wir unbedingt mehr Atomkraftwerke“ ist nun die gegensätzliche, neue Werbebotschaft von Burson Marsteller, denn die industriellen Meinungsmacher arbeiten jetzt auch für die Atomkonzerne. Der Begriff Atomkraftwerk wird von vielen Menschen immer noch mit der Atombombe assoziiert. Darum wurde schon vor Jahrzehnten der harmloser klingende Begriff der Kernenergie eingeführt. Eine Offenbarung in Sachen Neusprech ist die Notfallschutzbroschüre des Regierungspräsidiums Freiburg für das AKW Fessenheim. Aus dem Katastrophenschutz wurde der Notfallschutz, aus dem Atomunfall das Ereignis und Radioaktivität tritt bei diesem Ereignis nicht etwa unkontrolliert aus, sondern Radioaktivität wird freigesetzt... Auch auf vielen Wikipediaseiten heißt der AKW-Schornstein zur Abgabe von krebserzeugender Radioaktivität immer noch Abluftkamin.

AKW – KKW
Atomkraftwerk – Kernkraftwerk
Plutonium-AKW – Schneller Brüter
Atommülllager – Entsorgungspark
Atomunfall – Ereignis
Atomkatastrophe – bedeutsames Ereignis
Katastrophenschutz – Notfallschutz
Katastrophenschutzbroschüre - Notfallschutzbroschüre
Austritt von Radioaktivität – Freisetzung von Radioaktivität
Entgiftung – Dekontamination
AKW-Schornstein – Abluftkamin

Georg Orwell war ein realistischer Visionär. Er hat Neusprech, die Gedankendiktatur und den Überwachungsstaat beschrieben. Viele Diktaturen des letzten Jahrhunderts in Ost und West waren schrecklich, aber glücklicherweise technisch noch unvollkommen. Heute, in der Demokratie, sind wir da technisch „weiter“. Das zentrale Problem der Menschen sind nicht die unter entsetzlichen Opfern überwundenen Katastrophen und Diktaturen. Das Problem ist unsere offensichtliche Unfähigkeit daraus zu lernen. Gegen Neusprech, Propaganda und Greenwash lässt sich in der real existierenden Demokratie leichter angehen als in einer Diktatur. Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir beginnen, uns gegen die Manipulation der Sprache und des Denkens zu wehren?

Ein persönlicher Debattenbeitrag von Axel Mayer

(Der Autor ist BUND-Geschäftsführer in Freiburg, Kreisrat und Vizepräsident im Trinationalen Atomschutzverband)

Mehr Infos zum Greenwash: http://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/idx-greenwash.html